Gestern stolperte ich über einen unglaublich guten Artikel (BMW Guggenheim Lab in Berlin: PR English, asking the wrong questions, and the festivalisation of urban planning) in dem Blog einer Jana Perkovic namens „Guerilla Semiotics.“
Ich war dankbar dafür und drückte das in einer Antwort aus, die zu einer Art Liebeserklärung an den Teute geriet. Deshalb steht es jetzt hier, erweitert und mit Photos versehen.
June 22, 2012 at 18:46
Liebe Jana,
vielen Dank für den trefflichen Artikel.
Ich gehöre zu leute-am-teute, einem Anwohnerverein, der den Teutoburger Platz betreut, ca 100m neben dem BMW Guggenheim Lab, aber außerhalb der “gated communitiy” Pfefferberg.
In dem speziell deutschen Wortsinne ist es gemeint: Wir sind ihm treu, dem Platz. Es ist ein Geben und Nehmen. Der Anwohnerverein besteht seit 21 Jahren. Ich selbst wohne in dem Kiez seit 18 Jahren, am Platz seit 13 Jahren. Meine beiden Töchter (7 und 10) sind hier geboren, auf dem Platz sind sie zu Hause. Ohne ihn wäre ihr Leben ärmer. Wir lieben den Platz und geben ihm zurück, was er uns gibt. Wir wässern den Rasen, wenn er dürstet, wir pflanzen Sträucher, wir säubern ihn, wir feiern mit ihm. Wir haben eine Umsonst-Box aufgebaut, über die Anwohner sich austauschen. Wir befassen uns mit der Geschichte des Platzes, erinnern uns an die Erzählungen von Opa Horst und spüren die Zeitschichten, wenn wir auf einer Bank sitzen, unseren Kindern zuschauen, und der “stream of consciousness” fliesst.
In den letzten Jahren wird der Teute allerdings immer mehr frequentiert von Leuten, die ihm nicht treu sind, die ihn nur benutzen. Es sind im Umkreis von ca. 700m fünf Hostels gebaut worden (Schoenhouse, Meininger, East Seven, Circus und Pfefferbett). Das Pfefferberg-Gelände ist zu einer “Hochburg der Hochkultur”, wie die ‘Zitty’ titelte, verkommen.
Heutzutage muß der Teute Pappbecher und Pappteller, Flaschen, Dosen, den ganzen to-go-Kram schlucken. Wir geben acht, dass er daran nicht erstickt.
Nun gut, er wird auch das überleben. Er hat schon Gewehre, Munition und Handgranaten geschluckt, die am Ende des 2. Weltkrieges in seinem Feuerlöschteich landeten.
Das Gelände des Pfefferbergs, auf dem jetzt das BGLab steht, ist laut Kaufvertrag als eine “öffentlich zugängliche Grünfläche” zu erhalten. Aber Verträge werden von Bezirkspolitikern und der Pfefferberg-Entwicklungs GmbH und Co. KG einfach ignoriert, wenn jemand mit dem Geldsack winkt. Die Grünfläche wurde einfach für BMWś „experiential branding“-Veranstaltung zusammengeschoben.
Bei entsprechender Gestaltung wäre diese Ex-Grünfläche jedoch eine geeignete und auch zunehmend notwendige Erweiterung des stark frequentierten Teute.
Der größte Hof des Pfefferbergs ist zu einem Parkplatz verkommen, auf dem zeitweise auch Eliassons BMW parkt. Er hat für BMW ein “art car” produziert, wie Warhol, Stella, Rauschenberg, Koons u.a.
Im Tanzsaal, in dem früher Konzerte stattfanden, befindet sich das “Tauro” „der Tapas-Tempel, das größte spanische Restaurant der Stadt“, das zu einer Gaststätten-Kette gehört (“Escados” am Alex u.a.). Der Biergarten, das früher öffentlich zugängliche Herzstück des Pfefferbergs, wurde privatisiert und gehört jetzt zur Außengastronomie des „Tauro“, das mit 350 Sitzplätzen draußen wirbt.
Von Kiezkultur (es haben sich einmal ca.60 Initiativen und kleine Projekte ein Plätzchen auf dem Pfefferberg erhofft) und sozialen Projekten ist fast nichts mehr übrig geblieben.
Ich selbst fühle mich inzwischen wie ein Fremdgänger auf dem Gelände. Gestern, als bei uns der Bär tobte wegen der Fête de la Musique, ging ich einmal hinüber zum BMW Guggenheim Lab. Dort wurde auf Englisch über “Urban gardening” mit großen Projektionen von delikaten Zucchini-Blüten auf dem Balkon referiert. Jemand kam auf mich zu und sagte, weil ich skeptisch dreinschaute, es gäbe auch Simultanübersetzung über Kopfhörer, wenn ich wollte, es hätte bisher nur niemand gewünscht.
Offensichtlich waren die paar Hanseln, die dort saßen, wirklich nur internationale Diskurs-Kreative.
Ich habe mich bedankt für die „Lost in Translation“-Offerte, jedoch lieber diese furztrockene Veranstaltung verlassen und bin freudigen Herzens zurückgekehrt zu unserem real-life-Hochbeet, der Latino-Sommermusik-Band, den Besser-als- Horst-Krause-Polizisten, die das
Konzert um 21.30 Uhr leider abbrechen mußten (“Unsere neuen Bandmanager!”), zu den Leuten am Teute, nicht zu vergessen zu dem Platzelch, der die Parkuhren kontrolliert.
„Lovely Rita, meter maid, may I inqire discreetly…“
Sicher kennst Du den Blog bmwlabverhindern , der viele Hintergrund-informationen enthält.
Herzliche Grüsse: Willi Maurer
P.S.: Die BMW Guggenheim Lab-Karawane zieht in Kürze weiter nach Mumbai, um den Indern den Weg zu weisen, die so orientierungslos sind, seit sie nicht mehr zur britischen Krone gehören. Und darin kristallisiert sich noch einmal der Unterschied zwischen der umherschweifenden BMW-Bananentruppe und einer seit Jahrzehnten gewachsenen und miteinander handelnden, tanzenden und weinenden Nachbarschaft: Die Nomaden aus dem indischen Rajasthan kommen zu uns, aus freien Stücken, von niemandem bezahlt und weil es ihnen bei uns gefällt.