349 Öre sind nicht genug – jetzt Nachzahlung sichern!

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Zur Zeit läuft vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verfahren zur Überprüfung der sogenannten „Regelleistung“ nach ALG-2, also dem berühmten Hartz-IV-Satz von 349 €, mit dem Erwerbslose auskommen sollen. Das Verfahren hatten mit einer Überprüfung des reduzierten Satzes für Kinder begonnen, aber auch der Regelsatz soll nun auf seine Verfassungskonformität inspiziert werden.

Was daran nun spannend ist? – Nun, erstmal, dass nach einer erfolgreichen Entscheidung des Gerichts zukünftig ALG-2-BezieherInnen mehr Geld in der Tasche haben könnten. Und dass vielleicht das ganze Hartz-IV-Konzept ins Wackeln kommt. Und dass ein derartiger höchstrichterlicher Spruch auch die schwarz-gelbe Bundesregierung von der Umsetzung neoliberaler Sozialkürzungen abhalten könnte – die wollen die Betroffenen nämlich am liebsten durch langsames Aushungern in den untersten Niedriglohnsektor treiben.

Aber noch mehr: Eine Entscheidung könnte auch rückwirkende Folgen haben. Daher empfiehlt der in Sachen Sozialberatung äußert versierte Verein Tacheles e.V. allen ALG-2-EmpfängerInnen, einen Überprüfungsantrag ans Jobcenter zu schicken, der die Gültigkeit aller ALG-2-Bescheide der letzten Jahre zum Gegenstand hat (hier der Antrag als rtf-Dokument). Denn rückwirkende Zahlungen sind anscheinend nur möglich, wenn offene Widersprüche für die betreffenden Bescheide bestehen. Deswegen sollte auf eine Zurückweisung des Überprüfungsantrags durch das Jobcenter auch unbedingt mit einem Widerspruch (auch rtf) reagiert werden.

Wie wahrscheinlich ist nun, dass tatsächlich Geld nachgezahlt wird? Nun, zunächst war es für die Fachleute überraschend, dass das Gericht überhaupt angekündigt hat, auch die ganz normalen Regelleistungen zu überprüfen. Weiterhin ist interessant, dass die ALG-2-Sätze sich nicht auf die anderswo im Sozialgesetzbuch ausgeführten „Ermittlungs-Verfahren für das sozio-kulturelle Existenzminimum“ beziehen. Die ergeben nämlich rund 460 €/Monat statt der 359 € ALG-2. Und 100 € Nachzahlung x 12 Monate x 4 Jahre, das könnte doch ein recht ansehnliches Sümmchen ergeben, für das es sich lohnt, mal zwei vorbereitete Formschreiben auszudrucken, vielleicht noch zu kopieren und an FreundInnen zu verteilen, das ganze zum Jobcenter zu tragen oder auch ein paar Briefmarken dafür zu investieren.

Ein Freund, der selbst Sozialberatung macht, wies mich darauf hin, dass das Bundesamt für Arbeit bereits extra Leute eingestellt hat, um Anweisungen und Vorlagen für die Jobcenter zu erarbeiten, die Überprüfungsanträge möglichst überzeugend zurück zu weisen. Denn je weniger Leute dann noch in Widerspruch gehen, desto weniger rückwirkende Nachzahlungen hat das Bundesamt zu erwarten. Außerdem stimmt nachdenklich, dass der sich mit dem Verfahren befassende Senat des Bundesverfassungsgerichts nicht nur für eine recht soziale und weitgehende Auslegung des Sozialstaatsgebots bekannt sei, sondern sich der für das Verfahren zuständige Richter auch nicht um seine Karriere zu fürchten hat: Er geht nämlich danach in Pension.

Im Laufe des Januars wird das Urteil des Gerichts erwartet. Bis dahin können noch Überprüfungsanträge eingereicht werden, die erst eine eventuelle Nachzahlung für die letzten drei Jahre möglich machen. Also schnell schnell sich dransetzen und nichts vertrödeln!

Und hier noch ein paar Worte vom Tacheles e.V. zur Einschätzung der Situation:

Aus dem ersten Erörterungstermin ging hervor, dass es dem Bundesverfassungsgericht nicht nur um die Kinderregelleistungen, sondern auch um die Regelleistungen der Erwachsenen geht. Das wurde aus der Einleitung des Herrn Papier deutlich. Somit prüft das BVerfG die Vorlagebeschlüsse nach den Kriterien Menschenwürde und Sozialstaatsgebot (Art. 1 und Art. 20 GG) und nicht, ob gegen das Willkürverbot nach Art. 3 GG verstoßen wurde.

Eines ist damit jetzt schon klargestellt: Das Bürgergeldkonzept der FDP mit 662 EUR zur Existenzsicherung (inkl. Miete, Heizung, Hausrat, Bekleidung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung) ist mit diesen in Aussicht gestellten Anforderungen nicht zu vereinbaren.

Denn das BVerfG stellte schon am ersten Verhandlungstag darauf ab, dass das staatlich gewährleistete Existenzminimum ein Leben in Würde und soziokulturelle Teilhabe ermöglichen müsse und keinesfalls eine Existenzsicherung auf unterstem Niveau darstellen dürfe.

Damit positioniert sich das BVerfG gegen die Konzepte der neoliberale Vertreter wie die Bertelsmannstiftung oder die Initiative Soziale Marktwirtschaft, die durch gezieltes „Aushungern“ oder chronische Unterfinanzierung Hartz IV- Bezieher/innen in den Niedriglohn treiben wollen.

3 Kommentare

  1. Sehr interessanter Beitrag welchen du da verfasst hast. Endlich hab ich das gefunden was ich gesucht hatte. Ich wuerde auch gerne den RSS Feed von deinem Blog abonieren aber leider finde ich diesen nicht. Wo muss ich denn danach suchen?

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